Österreich und das Anschlussverbot

 
Mit Preußen und Österreich gab es im 19. Jahrhundert zwei Großmächte im deutschsprachigen Raum. Nachdem das Heilige Römische Reich deutscher Nation durch die Koalitionskriege ein Ende genommen hatte, waren die beiden Mächte nicht mehr durch ein gemeinsames Dach verbunden. Nach dem endgültigen Bruch, durch den Deutschen Bruderkrieg 1866, war ein Zusammenschluss von Preußen und Österreich, die sogenannte Großdeutsche Lösung, in weite Ferne gerückt. 1871 entstand unter der Führung Preußens das Deutsche Reich, während die Österreicher, nach dem Ausgleich mit Ungarn, den Kaiser des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn stellten.

 
Trotz aller Rivalität blieben Deutschland und Österreich-Ungarn eng verbunden und der deutsche Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow sprach 1909 sogar von der sogenannten Nibelungentreue, als er die unbedingte Bündnistreue heraufbeschwor. Im ersten Weltkrieg kämpften beide Nationen als Verbündete, ehe die Kriegsniederlage auch das Ende des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn bedeutete. Das Land zerfiel in viele kleine Nationalstaaten und der übrige deutschsprachige Teil, der einst großen Doppelmonarchie, reagierte am 30. Oktober 1918 mit der Gründung von Deutschösterreich. Eine einberufene provisorische Nationalversammlung sollte nun klären wie es mit den deutschsprachigen Gebieten weitergehen sollte.

Beanspruchtes Gebiete der Nationalversammlung von Deutschösterreich

 
Da die andere Staaten der ehemaligen Donaumonarchie Österreich-Ungarn kein weiteres Interesse an einer Konföderation mit Deutschösterreich hatten, sah die Nationalversammlung eine staatsrechtliche Verbindung mit dem Deutschen Reich als einzige Möglichkeit um politisch zu existieren. Die Identifikation mit einem neuen Kleinstaat war für viele schier unvorstellbar.
Am 9. November 1918, sechs Tage nach dem Waffenstillstand, wandte sich die Nationalversammlung von Deutschösterreich an den deutschen Reichskanzler um Österreich mit im neuen Deutschen Reich zu berücksichtigen. Ein ebenfalls von der Nationalversammlung verabschiedetes Gesetz beinhaltete im zweiten Artikel die Worte: „Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik“.





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Im Deutschen Reich wurde das Vorgehen der Deutschösterreichischen Nationalversammlung positiv aufgenommen. Die provisorische Deutsche Regierung unter Friedrich Ebert beschloss Deutschösterreich mit ins Deutsche Reich aufzunehmen. In der später verabschiedeten Weimarer Verfassung waren unter Artikel 61 Abs. 2 folgende Worte zu finden:

 

Deutschösterreich erhält nach seinem Anschluß an das Deutsche Reich das Recht der Teilnahme am Reichsrat mit der seiner Bevölkerung entsprechenden Stimmenzahl. Bis dahin haben die Vertreter Deutschösterreichs beratende Stimme.

Damit wäre dem Anschluss Österreichs an die Weimarer Republik eigentlich nichts mehr im Wege gestanden, zumal 1919 zwischen den Außenministern bereits ein Anschlussprotokoll unterzeichnet wurde, hätten die Siegermächte des ersten Weltkriegs nicht auch ein Wörtchen mitzureden gehabt. Gerade Frankreich war der Zusammenschluss Deutschlands mit Österreich und das dadurch an Größe gewinnende Deutsche Reich ein Dorn im Auge.
So kritisierten die Siegermächte das Anschlussprotokoll und sahen darin eine Verletzung des im Juni 1919 von Deutschland unterzeichneten Versailler Vertrags. Schließlich mussten Deutschland und Österreich zurückrudern und auf den Zusammenschluss verzichten. Die beiden mit den Siegermächten ausgehandelten Verträge (Versailler Vertrag und Vertrag von Saint-Germain), die beide im Jahre 1920 in Kraft traten, beinhalteten schließlich ein Anschlussverbot und machten den Zusammenschluss beider Länder auf absehbare Zeit unmöglich.

Die mit den Siegermächten ausgehandelten Friedensverträge (hier Versailler Vertrag) machten den Anschluss Österreichs unmöglich

 

Versailler Vertrag Artikel 80:
Deutschland erkennt die Unabhängigkeit Österreichs innerhalb der durch Vertrag zwischen diesem Staate und den alliierten und assoziierten Hauptmächten festzusetzenden Grenzen an und verpflichtet sich, sie unbedingt zu achten; es erkennt an, daß diese Unabhängigkeit unabänderlich ist, es sei denn, daß der Rat des Völkerbunds einer Abänderung zustimmt.

Vertrag von Saint-Germain Artiel 88:
Die Unabhängigkeit Österreichs ist unabänderlich, es sei denn, daß der Rat des Völkerbundes einer Abänderung zustimmt. Daher übernimmt Österreich die Verpflichtung, sich, außer mit Zustimmung des gedachten Rates, jeder Handlung zu enthalten, die mittelbar oder unmittelbar oder auf irgendwelchem Wege, namentlich – bis zu seiner Zulassung als Mitglied des Völkerbundes – im Wege der Teilnahme an den Angelegenheiten einer anderen Macht seine Unabhängigkeit gefährden könnte.

Deutschösterreich bekam durch die nun festgeschriebene Unabhängigkeit den Namen Republik Österreich und existierte bis 1938 als eigenständiger Staat. Dies änderte sich erst durch den Einmarsch der Nationalsozialisten in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 und der damit erzwungenen Eingliederung in das Dritte Reich. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg wurde der Anschluss wieder für Nichtig erklärt und die noch heute existierende Republik Österreich (Zweite Republik) entstand.